Einfluss der Ernährung auf orale Entzündungen: Eine Interventionsstudie des Universitätsklinikums Freiburg
Zucker verursacht Karies – so haben wir es von Kindesbeinen an gelernt. Dass sich aber auch die Gesundheit des Zahnfleisches wesentlich durch die Auswahl an Lebensmitteln beeinflussen lässt, ist weniger bekannt. Dieser Zusammenhang wurde in einer Interventionsstudie des Universitätsklinikums Freiburg näher untersucht. Von M. Gärtner
Die Ernährungsweise gilt noch vor Rauchen und körperlicher Inaktivität als der größte Risikofaktor für nicht-übertragbare Erkrankungen (non-communicable diseases, NCDs). Diese NCDs stellen laut der Weltgesundheitsorganisation die Hauptursache für vorzeitigen Tod in den Industrienationen dar. Karies und Parodontitis gehören zu den häufigsten NCDs weltweit. Während die ätiologische Rolle der einfachen Kohlenhydrate (v.a. das Disaccharid Saccharose, bekannt als Haushaltszucker) auf die Kariesentstehung seit Jahrzehnten gut belegt ist, galt in der Entstehung der parodontalen Entzündung vor allem der Zahnbelag (Plaque) als Hauptursache. Mittlerweile zeigen jedoch immer mehr Untersuchungen, dass unabhängig vom Zahnbelag parodontale Entzündungen durch Ernährung relevant reduziert werden können.
Ziel der am Universitätsklinikum Freiburg durchgeführten klinischen Studie war es zu untersuchen, ob die Entzündung des Zahnfleisches (Gingivitis) bei gleichbleibender Mundhygiene durch eine Ernährungsumstellung beeinflusst wird. Die Gingivitis zeigt sehr hohe Prävalenzraten. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Prävalenzraten von Gingivitis (ausgedrückt durch einen mittleren Gingivalindex nach Löe und Silness (1963): GI >0,5) bei Erwachsenen bei 90-100% liegen. Kinder sind ebenfalls betroffen. Laut der fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie hatten nur 22,3% der untersuchten Kinder eine entzündungsfreie Gingiva (GI <0,5). Eine andauernde Entzündung der Gingiva stellt ein potentielles Risiko für das Entwickeln einer Parodontitis dar. In Deutschland leidet bereits rund jeder zweite jüngere Erwachsene (35-44 Jahre) an der parodontalen Erkrankung.
Bei der Studie handelte es sich um eine prospektive, einfach verblindete, randomisierte Interventionsstudie im Parallelgruppendesign, welche als Folgestudie der Pilotstudie nach Woelber et al. (2016) durchgeführt wurde. Die Experimentalgruppe mit einer mundgesundheitsoptimierten Ernährung (n=15) wurde mit einer Kontrollgruppe (n=15) unter “western diet”-Bedingungen verglichen. Unter “western diet” wurde eine Ernährungsweise verstanden mit einem Kohlenhydratanteil von mind. 45 Energie% und reichlich prozessierten Lebensmitteln wie Weißmehl, zuckerhaltige Speisen und Getränke, gesättigte und erhitzte Fette. Der Studienzeitraum erstreckte sich über acht Wochen. Um einen gewissen Grad an möglicher gingivaler Entzündung untersuchen zu können, durften die Probanden über den Studienzeitraum hinweg keine Interdentalraumhygiene betreiben. Die Probanden wurden nach Plaque stratifiziert in beide Gruppen randomisiert eingeteilt (um ähnliche Plaquewerte und damit ein ähnliches Maß an Mundhygiene in beiden Gruppen zu erhalten). Als Einschlusskriterium mussten die Probanden u.a. mindestens eine leichte Gingvitis (GI >0,5) aufweisen und sich nach einer westlichen Ernährungsweise im Sinne einer “western diet” ernähren. Der Prüfzahnarzt war bezüglich der Gruppenzugehörigkeit verblindet.
In den ersten zwei Wochen ernährten sich beide Gruppen nach einer gewohnten westlichen Ernährungsweise. Nach einer zweiwöchigen Umstellungsphase stellte die Experimentalgruppe ihre Ernährung für vier Wochen auf eine mundgesundheitsoptimierte Ernährung um. Diese beinhaltete einen weitestgehenden Verzicht einfacher und prozessierter Kohlenhydrate, gesättigter Fett- und Transfettsäuren sowie eine vermehrte Einnahme von nitrathaltigem Gemüse, Omega-3-Fettsäuren, Ballaststoffen, Antioxidantien, pflanzlichem Vitamin C und Vitamin D Supplementation je nach Serumlage mit 1000-3000 IE täglich. Die Kontrollgruppe behielt über die gesamte Studiendauer die westliche Ernährungsweise bei.
Während Plaque- und Gingiva-Index mit Ausnahme der Umstellungsphase wöchentlich erhoben wurden, mussten die Probanden in Woche zwei, fünf und acht ein ausführliches Ernährungstagebuch ausfüllen. Die Ernährungstagebücher wurden in eine Ernährungssoftware (PRODI ®) übertragen, um die aufgenommenen Makro- und Mikronährstoffe analysieren zu können. Die Ergebnisse zeigten, dass bei gleicher Abnahme der Plaquewerte (PI: ∆Exp. und ∆Kontrolle: -17,2%) sich die gingivale Entzündung in der Experimentalgruppe signifikant stärker reduzierte (GI: ∆Exp. vs. ∆Kontrolle: -40,8% vs. -19,6%, p=0,0275).
Bei den restlichen parodontalen Parametern (Sondierungstiefen und Bluten auf Sondieren) konnten ebenfalls positive Veränderungen gezeigt werden, jedoch nur teilweise statistisch signifikant. Darüber hinaus zeigte die Experimentalgruppe einen signifikant höheren Anstieg der Vitamin-D-Werte und einen signifikanten Gewichtsverlust. Bezüglich der serologischen Entzündungsmarker konnten keine signifikanten Ergebnisse beobachtet werden.
Die Auswertung der Ernährungstagebücher hat für die Experimentalgruppe im Vergleich von Woche zwei (vor Ernährungsumstellung) und Woche acht (nach Ernährungsumstellung) folgende Ergebnisse zeigen können:
Makronährstoffzusammensetzung | Mikronährstoffe | Sonstiges |
---|---|---|
Kohlenhydrate 47% vs. 42% | Vitamin E: + 89% | Kalorienaufnahme: - 31% 2069kcal vs. 1432kcal |
Eiweiß 14% vs. 17% | Vitamin K: + 168% | gesättigte Fettsäuren: - 69% 32,7g vs. 10,1g pro Tag |
Fett 39% vs. 41% | Vitamin B6: + 47% | Omega-3-Fettsäuren: + 184% 1,2g vs. 3,5g pro Tag |
Vitamin C: + 207% | Ballaststoffe: + 108% 18,7g vs. 39,1g pro Tag |
|
Folsäure: + 97% | Kochsalz: - 69% | |
Magnesium: + 46% | ||
Calcium: - 43% |
Tabelle 1: Ergebnisse der Experimentalgruppe: Veränderung der Ernährung von Woche zwei zu Woche acht
Wie können die oralen Werte eingeordnet werden? In beiden Gruppen sind gleichermaßen verringerte Plaquewerte gemessen worden. Dies ist aus Mundgesundheitsstudien bekannt und wird als Hawthorneeffekt bezeichnet. Unter Studienbedingungen putzen sich die Probanden unbewusst besser die Zähne. Dennoch zeigt sich eine doppelt so große Entzündungsreduktion der Gingivitis in der Experimentalgruppe. Mit welchen Therapien können solche Reduktionen sonst erreicht werden? Für Zahnseide beispielsweise kann kein evidenzbasierter Einfluss auf die Gingivitis gezeigt werden, die Benutzung von Interdentalbürstchen konnte anhand einer Cochrane Metanalyse eine Reduktion um ca. 35% zeigen, sehr aufwendige Präventionskonzepte mit Instruktion und professionelle Zahnreinigung alle zwei Monate zeigen eine Gingivitisreduktion um ca. 50%. Bei diesen Methoden wurde jedoch die Plaquereduktion in den Fokus gerückt und so reduzierten sich die Plaquewerte der Probanden in diesen Studien stark. Ernährungsphysiologisch interessant ist der Aspekt, dass trotz der deutlich geringeren Kalorienaufnahme so viel mehr Mikronährstoffe aufgenommen worden sind.
Unter Berücksichtigung der Studienlimitationen konnte gezeigt werden, dass eine überwiegend pflanzenbasierte, niedrigglykämische Vollwertkost mit Supplementation von Vitamin D in der Lage ist, gingivale Entzündung in einem klinisch relevanten Bereich signifikant zu reduzieren.
Wie kann dieses Wissen nun aber umgesetzt werden? Wie bereits bekannt ist, handelt es sich bei dem Thema Ernährungsumstellung um ein komplexes und teilweise langwieriges Unterfangen. So darf bezweifelt werden, dass ein gutgemeinter Rat des (Zahn-)arztes ausreicht, um eben diese Ernährungsumstellung beim Patienten gelingen zu lassen. Dennoch sind immer mehr zahnärztliche Kollegen an einem kausalen Therapieansatz interessiert und darum sollte sich dafür eingesetzt werden, dass auch Zahnärzte eine Ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung für Ernährungsintervention nach § 43 SGB V ausstellen dürfen, um so interdisziplinär mit Ernährungswissenschaftlern und Ernährungsfachkräften zusammenarbeiten zu können. In einer solchen Ernährungsberatung wird sich dem Patienten drei Stunden angenommen, während wir als Zahnärzte oft nur ein paar Minuten zwischen zwei Füllungen entbehren können. Ungeachtet des Aspekts, dass wir in der Regel weder in Ernährungsmedizin noch in Beratung geschult sind. Als Zahnärzte haben wir den Vorteil, dass wir die Patienten schon viele Jahre früher mit diesen ernährungsbedingten Erkrankungen sehen, bevor andere chronische NCDs wie eine nichtalkoholische Fettleber, Diabetes oder das metabolische Syndrom diagnostiziert werden. So könnten Karies und Parodontitis als eine präventive Chance für die Gesunderhaltung unserer Patienten gesehen werden.