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Blog

Genetik und Epigenetik in der personalisierten Medizin

Mit Beginn der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2001 und dem gleichzeitigen Aufbau von Technologien zur Hochdurchsatz-Genanalyse entstand ein neues Forschungsgebiet: die personalisierte
Ernährung. Gesucht wird nach Genvarianten, deren Träger ein erhöhtes Risiko haben eine bestimmte Erkrankung zu bekommen. Gleichzeitig entstanden die ersten kommerziellen Angebote einer genotypbasierten
Ernährungsberatung. Das langfristige Ziel ist, mittels individueller Ernährungsempfehlungen den Gesundheitszustand von Individuen zu verbessern bzw. das Risiko für Erkrankungen zu reduzieren.

Für monogenetische Erkrankungen ist i.a. eine klare Korrelation von Genotyp und Phänotyp nachgewiesen. Hierzu zählt z.B. die monogenetische Stoffwechselstörung Phenylketonurie. Für polygene Erkrankungen
hingegen steckt die Forschung noch in den Anfängen. In dem hier vorgestellten Review wird ein Überblick über Forschungs-Ergebnisse zum Einfluss genetischer und epigenetischer Faktoren bei der Entstehung
von polygenetischen Erkrankungen gegeben. Besprochen werden die Ergebnisse für polygenetische Krankheiten wie Adipositas, nicht-insulinabhängiger Diabetes mellitus (Diabetes mellitus Typ 2) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Genetik
In einer Meta-Analyse zur Erforschung von genetischen Einflüssen auf die Entwicklung von Adipositas wurden 941 Loci entdeckt, für welche ein Zusammenhang mit Adipositas-Merkmalen festgestellt wurde.
Der Effekt von einzelnen Punktmutationen war allerdings nur gering. Auch zusammengefasst haben diese Punktmutationen einen geringen Einfluss von nur etwa 6% auf die BMI-Variation. Der am besten untersuchte
Adipositas-Locus ist das FTO-Gen, das 2007 identifiziert wurde. Es hat die stärkste individuelle Wirkung auf das Körpergewicht und es wurde gezeigt, dass homozygote Träger eines speziellen Risikoallels bis zu 3 kg mehr wiegen als Nicht-Risikoallelträger.

Anhand von zwei Studien wurde der genetische Einfluss auf die Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2 untersucht. Hierbei wurden über 300 Loci identifiziert, welche mit der Krankheit assoziiert sind. Es zeigte sich
jedoch, dass die klassischen Parameter zur Einordnung des Erkrankungs-Risikos wie Familienanamnese, Alter, Geschlecht, BMI und Nüchtern-Plasmaglukose den diagnostischen Wert einzelner Genvarianten
oder polygenetischer Werte übertreffen. Darüber hinaus wurde auch keine Verbesserung der Risikobewertung festgestellt, wenn die genetischen Informationen ergänzend zu den klassischen Parametern verwendet wurden.

Forschungsergebnisse bezüglich kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Blutdruck und Plasmalipide ergaben die Identifikation von mehreren Loci, die eine Assoziation mit den Risikofaktoren aufweisen. Für das Risiko
eines Myokardinfarkts und einer koronaren Herzkrankheit wurden bisher mehr als 200 genetische Loci identifiziert. Es zeigte sich jedoch, dass die genetischen Auffälligkeiten nur einen kleinen Bruchteil der gesamten Erblichkeit für Myokardinfarkt und koronare Herzkrankheit aufwiesen.

Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass die bisherigen genetischen Untersuchungen bei Erkrankungen mit polygenem Ursprung keine ausreichende Basis für personalisierte Ernährungsempfehlungen darstellen.

Epigenetik
Der Begriff Epigenetik bezieht sich auf „vererbbare“ Phänotypveränderungen, die keine Veränderungen in der Desoxyribonukleinsäure (DNA)-Sequenz beinhalten. Eine mit am häufigsten untersuchte epigenetische
Veränderung ist die DNA-Methylierung. Hier erfolgt eine Modifikation der DNA durch die Übertragung von Methylgruppen durch Enzyme auf Nukleobasen an bestimmten Stellen der DNA.
In einer epigenomweiten Assoziationsstudie (EWAS) wurden 187 methylierte DNA-Stellen identifiziert, welche signifikant mit dem BMI assoziiert waren. Langzeitbeobachtungen ließen vermuten, dass die meisten
der epigenetischen Veränderungen Folge und nicht Ursache des Übergewichts waren. Ein weiteres Ergebnis war, dass sich die epigenetischen Veränderungen zur Abschätzung des Risikos an Diabetes Typ 2
zu erkranken verwenden lassen.

In neueren Untersuchungen wurde begonnen, Zusammenhänge zwischen DNA-Methylierung und Herz Kreislauf-Erkrankungen herzustellen. Die bisher größte Studie hierzu untersuchte den Zusammenhang
zwischen 11.461 Leukozyten-DNA-Methylierungsprofilen und verschiedenen Erkrankungen wie Koronarinsuffizienz, Angina pectoris, Myokardinfarkt, koronare Revaskularisation und kardiovaskuläre Mortalität mit
einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 11,2 Jahren. Die Studie identifizierte 52 differentiell methylierte Loci. Der Effekt einzelner Loci war jedoch gering.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Forschung zu ernährungsabhängigen Erkrankungen und Epigenetik noch in den Anfängen steckt.
Die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Effekte einzelner identifizierter modifizierter DNA-Loci gering sind.

Ernährungsverhalten
Die bisher größte Humaninterventionsstudie zu personalisierter Ernährung ist die Food4me-Studie. Diese Studie diente dazu, die Frage zu beantworten, ob personalisierte Ernährungsempfehlungen das Ernährungsverhalten
stärker verändern als allgemeingültige Ernährungsempfehlungen. Diese Studie mit rund 1600 gesunden Teilnehmern wurde als multizentrische Studie über sechs Monate hinweg in sieben europäischen Staaten durchgeführt. Dabei wurden drei verschieden strukturierte Abstufungen personalisierter Ernährung mit einer Kontrollgruppe verglichen. Im Vergleich zu der Kontrollgruppe, welche allgemeine Ernährungsempfehlungen erhalten hatte, verbesserten Studienteilnehmer durch individuelle Ernährungsratschläge ihre Essgewohnheiten. Die Studie zeigt, dass die Akzeptanz für Ernährungsempfehlungen größer ist, wenn diese individuell angepasst sind.

Fazit/Ausblick
Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen, dass Ergebnisse zu Genetik und Epigenetik keine ausreichende Basis für eine genbasierte Ernährungsempfehlung sind. Für zukünftige Konzepte der personalisierten
Ernährung ist eine umfassende Phänotypisierung von Teilnehmern notwendig. Zusätzlich zur Genotyp- Analyse sollten demnach weitere individuelle Faktoren berücksichtigt werden. In diese Richtung gehen
die Studien des Konsortiums „Personalized Responses to Dietary Composition Trial“ (PREDICT). Hier erfolgte eine kombinierte Analyse von Genotyp, Mikrobiom und Blutchemie sowie Frühstück- und Mittagessen
mit anschließenden Aufzeichnungen von postprandialen Glukose- und Triglycerid-Profilen. Die Ergebnisse von über solche neuen Ansätze gesammelten Daten können die Grundlage für neue Algorithmen
zu personalisierter Ernährungsempfehlung sein.

J. Schulte

Quelle
Holzapfel, C., Waldenberger, M., Lorkowski, S., Daniel, H.,
Genetics and Epigenetics in Personalized Nutrition: Evidence, Expectations,
and Experiences. Mol. Nutr. Food Res. 2022, 66, 2200077. ,
https://doi.org/10.1002/mnfr.202200077