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Wie gesund ist vegan?

Autor: Prof. Dr. med. Olaf Adam, München

Noch nie haben so viele Personen sich für den Verzicht auf Produkte tierischer Herkunft entschieden wie heute und eine vegane Kost eingehalten. Hierzu haben verschiedene Faktoren beigetragen, wie die Sorge um den Klimawandel und der gesteigerte CO2-Anfall, die unwürdige (Massen)Tierhaltung und die qualvollen Tiertransporte. Die Umfragen zeigen auch, dass gesundheitliche Aspekte bei der Entscheidung für oder gegen den Fleischkonsum keine große Rolle spielen. Aber sollte es gleich ein Fleischverzicht sein? Unser Wissen über die Inhaltsstoffe und die Wirkung tierischer Lebensmittel ist enorm gestiegen. Neue Aspekte sind dazugekommen, wie die Azidose durch schwefelhaltige Aminosäuren, die Unterschiede zwischen rotem und weißem Fleisch oder ein Sialinsäurezucker der Autoimmunerkrankungen auslösen kann, während die gesättigten Fettsäuren und das Cholesterin an Interesse verloren haben. Diese komplexer  gewordene Sachlage erfordert eine neue, differenziertere Abwägung der Frage: schadet oder nützt Fleischverzehr der Gesundheit.

Fettarmes Fleisch und Fleischprodukte tragen wesentlich zu einer vollwertigen Ernährung bei und verbessern die Versorgung mit Protein, Eisen, Spurenelementen und Vitaminen, die mit pflanzlicher Kost oft nicht in ausreichender gut bioverfügbarer Menge zugeführt werden (1). Für die Spurenelemente Selen und Zink sind Produkte tierischen Ursprungs derzeit die Hauptlieferanten, bei den Vitaminen sind es die Vitamine B1 (Thiamin), B6 (Pyridoxin) und vor allem Vitamin B12, sowie die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K. Tierische Lebensmittel (z.B. Fleisch, Milch, Käse, Fisch) bieten im Vergleich zu pflanzlichen Proteinquellen etwa die doppelte Menge Eiweiß pro Gewichtsanteil. Muskelfleisch besteht zu rund einem Fünftel aus Eiweiß, das zwar mengenmäßig eine ausreichende Proteinzufuhr unterstützt, sich im Rahmen einer gesunden Kost aber nicht als alleinige Proteinquelle eignet. Der Körper ist auf eine ausbalancierte Eiweißzufuhr angewiesen, die den Aufbau und den Ersatz aller Eiweißstrukturen im Körper erlaubt. Das ist sozusagen der Mensch mit Haut und Haar, mit Knochen, Nägeln, Zellen, Organen, Blutbestandteilen, Immunglobulinen und vielem mehr. Nur eine Ernährung, die den Bedarf aller dieser Strukturen deckt, ist vollwertig. Eiweiß aus tierischen Produkten ist in diesem Sinne höherwertig als pflanzliche Proteine, da es dem menschlichen Bedarf eher entspricht. Je höherwertiger ein Protein ist, desto weniger braucht man, um den täglichen Bedarf an Eiweiß zu decken. Zur Gesunderhaltung ist deshalb nicht nur die Eiweißmenge in der Kost von Bedeutung, sondern auch deren Zusammensetzung. Konkret ist es die sogenannte „limitierende Aminosäure“, die den gesundheitlichen Wert einer Eiweißzufuhr bestimmt. Aus dieser Erkenntnis wurde das Konzept der biologischen Wertigkeit von dem deutschen Ernährungswissenschaftler Karl Thomas (1883–1969) entwickelt. Je geringer die biologische Wertigkeit der Proteinquelle ist, desto höher muss die Eiweißzufuhr sein (Tabelle 1). Die Anwendung dieser Erkenntnis auf den Menschen ist dem deutschen Biochemiker und Ernährungsforscher Ernst Kofrányi (1908–1989) zu verdanken, der umfangreiche Ernährungsstudien zur biologischen Wertigkeit gemischter Proteine durchgeführt hat. Der Gründer und mein Vorgänger im Präsidentenamt der DAEM, Prof. Dr. med. Reinhold Kluthe, entwickelte in den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf dieser Basis die Kartoffel-Ei-Diät, die in der Vordialysezeit durch den minimalen Eiweißbedarf die Überlebenszeit von Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz verlängerte (2).

Proteinquelle Biologische Wertigkeit
Hühnerei 100
35% Hühnerei und 65% Kartoffel 137
75% Milch und 25% Weizenmehl 123
68% Hühnerei und 32% Weizenmehl 118
77% Rind, Geflügel und 23% Kartoffeln 114
Reis 81
Kartoffeln 76
Bohnen 72
Hafer 60

Bezogen auf das Hühnerei, dem die biologische Wertigkeit 100 (oder 1) zugeteilt wurde, zeigten nachfolgende Untersuchungen, dass der Erhalt der verschiedenen aus Eiweiß bestehenden Strukturen unseres Körpers mit einer Mischkost aus pflanzlichem und tierischem Eiweiß am besten gedeckt wird. Neuere Untersuchungen zeigen, dass auch die nicht-essentiellen Aminosäuren mehr Aufmerksamkeit verdienen. Unter bestimmten Bedingungen können sie zu limitierenden Faktoren der Proteinversorgung werden (4).

Sind Fleischersatzprodukte für Veganer anzuraten – gesundheitliche Aspekte

Wird eine vegane Kost eingehalten, so kommen die im Fleisch enthaltenen Aminosäuren ins Defizit und umgekehrt. Beispielsweise haben einige Proteine aus Getreide, Nüssen und Samen nur wenig der essentiellen Aminosäure Lysin und die ebenfalls essentielle Aminosäure Methionin wird selbst mit den proteinreichen Hülsenfrüchten (Erbsen, Linsen) und Gemüsen oft unzureichend aufgenommen. Cystein ist bei vielen pflanzlichen Proteinen die limitierende Aminosäure. Bei veganer Ernährung muss also so viel Eiweiß gegessen werden, bis die limitierenden Aminosäuren ausreichend darin enthalten sind. Die erforderliche Eiweißmenge wird bei einer veganen Ernährung nur schwer erreicht und erfordert eine sehr überlegte Speisenwahl und eine sehr umfangreiche Portionsgröße, die schwer zu erreichen ist. In dieser Hinsicht sind die Fleischersatzprodukte auf Pflanzenbasis keine Alternative. Sie ergänzen nicht die in tierischen Produkten enthaltenen Aminosäuren. Vielmehr wird der Eindruck suggeriert, gesund zu leben und auf den Fleischgeschmack nicht verzichten zu müssen. Liest man die Werbung für Fleischersatzprodukte, so findet man sehr viel über Fleischgeschmack, Umami, Textur, Nachhaltigkeit und gesundheitliche Vorteile. Hinsichtlich einer vollwertigen Ernährung findet man dagegen keine Erhebungen. Auch vegane Fischalternativen sind auf dem Markt und werden mit Versprechungen beworben wie „di mare“, obwohl die darin enthaltenen Erbsen noch nie das Meer gesehen haben, geschweige denn den Jodgehalt oder die langkettigen Omega-3 Fettsäuren der Fische liefern. Im folgenden Ernährungsmediziner werden wir das näher beleuchten. Offenbar sind Modetrends wesentlich überzeugender als wissenschaftliche Argumentation.

Des Rätsels Lösung könnte eine Auswertung der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Studie ergeben (3). Diese Studie ist eine prospektive, von 1992 bis 2000 laufende, multizentrische Studie. Deren Ziel war die Gewinnung einer breiten Datenbasis zur Erforschung der Zusammenhänge zwischen Ernährung, Lebensweise, Stoffwechsel, Erbfaktoren, Krebs und anderen chronischen Erkrankungen, die möglicherweise ernährungsbedingte Ursachen haben. Diese Auswertung zeigte, dass ein Konsum von bis zu 80 Gramm Fleisch pro Tag ohne gesundheitliches Risiko ist. Erst bei höheren Verzehrsmengen sind die beschriebenen Gefährdungen nicht auszuschließen. Die von der DGE vertretenen Verzehrsmengen sind 2 Fleischmahlzeiten pro Woche. Da eine Fleisch- oder Fischportion mit höchstens 200 Gramm zu Buche schlägt, liegt diese Empfehlung unter dem gesundheitlich bedenklichen Limit.

 

Quelle:

Adam O.: Schadet oder nützt Fleischverzehr der Gesundheit? In: Ernährungsmedizin in der Praxis (Hrsg. O. Adam) Loseblattsammlung Akt. Lieferung 04/2021, Kpt. 2/3.4.15 Spitta-Verlag Balingen

Karl Huth, Reinhold Kluthe (Hrsg.): Lehrbuch der Ernährungstherapie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart/ New York 1987,

Slimani N., Margetts B.: Nutrient Intakes and Patterns in the EPIC cohorts from ten European countries. Eur J Clin Nutr 2009, Nov;63, S1-S274

Stehle P.(2021) Entbehrliche Aminosäuren müssen nicht Bestandteil der Ernährung sein – oder doch? In: Ernährungsmedizin in der Praxis (Hrsg. O. Adam) Loseblattsammlung Akt. Lieferung 04/2021, Kpt. 2/3.4.15 Spitta-Verlag Balingen